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https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/die-wahren-gruende-hinter-der-triage-ein-intensivpfleger-klaert-auf-a4325088.html

„Die Gesundheitspolitik bewegt sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges in einem von Ärzte- und Kassenverbänden dominierenden Spektrum an Versorgungsleistungen“, kritisiert Werner Möller von „Pflege für Aufklärung“ die aktuelle Lage in der Pflege. Doch er hat auch einen Ansatz, wie man aus dem Dilemma herauskommt.

In den Medien häufen sich derzeit die Meldungen, dass viele Pflegeheime Patienten mit komplexem Krankheitsbild nicht mehr aufnehmen. Ältere Patienten fänden keine Anschlussversorgung und würden Klinikbetten belegen.

„Experten sprechen von Triage“, schrieb die „Tagesschau“. Epoch Times sprach mit dem Intensivpfleger Werner Möller über Triage, die wahren Hintergründe des Personalmangels und darüber, wie man der Pflege wieder auf die Beine hilft.

Herr Möller, ist der derzeit in den Medien geprägte Begriff „Triage“ gerechtfertigt?

Triage ist seit Corona zu einem inflationär missbrauchten Begriff geworden, der häufig in den Medien sehr undifferenziert auftritt und noch viel weniger von Politikern und weiteren Institutionen erklärt wird. Dadurch entstehen Ängste, besonders bei denjenigen Menschen, die auf medizinische und pflegerische Unterstützung angewiesen sind.

Eigentlich bedeutet Triage in der Pflege, dass Fachkräfte die Patienten dahingehend einordnen, dass zuerst die versorgt werden, die besonders gefährdet sind und zugleich die höchsten Überlebenschancen haben.

Während der gesamten Corona-Pandemie hat es niemals die Umsetzung einer sogenannten Triage gegeben, außer in Frankreich und im Elsass, wo es eine Verfahrensanweisung gab. Hier wurde für über 80-Jährige in Pflegeheimen, die durch COVID intubationspflichtig waren, die Sterbephase eingeleitet, ohne sie zu therapieren.

Wenn wie in Deutschland auf den Intensivstationen alle Betten belegt sind oder Personal fehlt und dadurch ein neuer Patient im regionalen Einzugsgebiet nicht mehr aufgenommen werden kann, muss dieser in eine andere Klinik verlegt werden. Unter diesen Gesichtspunkten kann nicht von einer Triage im Sinne eines „Ausselektierens“ von Menschen mit einem akut-medizinischen Notfall gesprochen werden, sondern vielmehr von fehlender Infrastruktur und Personalmangel. Neu ist dieser Zustand aber nicht.

Können Sie das näher erklären?

Die Situation der Pflege und Versorgung von Menschen mit akuten und chronischen Erkrankungen sowie die damit einhergehende Pflegebedürftigkeit ist schon seit Jahrzehnten in der Krise. Pflegeeinrichtungen schließen wegen Insolvenzen. Auch ambulante Pflegedienste stellen immer öfter ihren Betrieb wegen Personalmangels ein. Dabei ist die Nachfrage an medizinisch-pflegerischen Leistungen sehr hoch, sodass es zu einer Unterversorgung in gesundheitlicher Hinsicht kommt.

Diese Unterversorgung ist bereits in der Gesellschaft spürbar. Sie ist auch wissenschaftlich messbar, etwa anhand der Patienten-Outcomes, also des Therapieergebnisses – ob ein Patient wieder genesen ist, ob er gestorben ist oder dergleichen. In Deutschland wird dies allerdings nur unzureichend analysiert.

An die Politik ist diese Unterversorgung und auch die fehlende Messung der Patienten-Outcomes schon mehrfach adressiert worden. Jedoch fehlen die richtigen politischen Maßnahmen, um die notwendige Versorgung der Menschen sicherzustellen, etwa die effektive und korrekte Einbindung von Pflegefachkräften, die sowohl den Pflegebedarf erheben als auch die Pflegeprozesse steuern.

Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland hinsichtlich einer systematischen Einbindung von Pflegefachkräften je nach Studienlage besonders schlecht ab, denn die Ausrichtung des deutschen Gesundheitssystems bezieht sich seit der Kaiserzeit konsequenterweise auf akut-kurative medizinische Leistungen in einem ökonomisch-kapitalistischen Kontext.

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Meinen Sie damit, dass die Gesundheitspolitik eher den Fokus auf wirtschaftliche Aspekte legt anstatt auf die Patientenversorgung?

Schauen Sie, die Gesundheitspolitik bewegt sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges in einem von Ärzte- und Kassenverbänden dominierenden Spektrum an Versorgungsleistungen.

Im Jahr 1883 wurde die Krankenversicherung eingeführt, später wurden Ärztekammern und kassenärztliche Vereinigungen auf Bundes- und Landesebene errichtet. In derartigen Strukturen können die nach Gesetzes- und Kassenlage ausgerichteten Leistungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nur wenig bis gar nicht zugunsten der Gesundheitsfürsorge und Daseinsvorsorge geändert werden.

Die Errichtung von Pflegeberufskammern wäre hier ein wichtiger Schritt, um den Pflegekräften in diesem System Stimme zu verleihen. Bis heute gibt es erst zwei Pflegekammern, nämlich in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.

Was ist mit den übrigen Bundesländern?

Versuche, an anderen Orten Pflegekammern einzurichten, scheitern immer wieder an den starken Lobbyverbänden der Ärzteschaft, der Krankenkassen und an den in dritter Instanz etablierten Unternehmens- sowie Trägerverbänden, die die Pflegekräfte eher nicht in einer Selbstverwaltungsstruktur nach Länderrecht sehen.

Die Errichtung von Pflegekammern erfolgt in der Regel ohne politische Unterstützung und ohne finanzielle Mittel. Die Gelder müssen von ehrenamtlich engagierten Pflegekräften selbständig über eigene Fördervereine eingesammelt werden.

Aufgrund dieses Umstandes fehlt bis heute die Legitimation des größten Heilberufes, die eigenen beruflichen Belange fachlich-inhaltlich in die Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Antrags- und Stimmrechte für diverse politisch und juristisch eingerichtete Gremien sind bis heute im Gesundheitssystem nicht verankert worden.

Wie wirkt sich diese fehlende Lobby für Pflegekräfte auf die Patienten aus?

Ich nehme immer mehr wahr, wie sich die Gesundheitsstruktur meiner Klienten verändert: Meine Patienten werden zunehmend älter und kränker. Wenn sie mit 80 Jahren noch eine Doppelhüfte eingesetzt bekommen und dann irgendwelche Komplikationen haben, müssen sie anschließend für die Nachsorge in eine poststationäre Versorgung, etwa in ein Pflegeheim. Dazu kommen oft noch neurologische Krankheiten, Herzinsuffizienzen, Einschränkungen in der Mobilität oder auch bei der Nahrungsaufnahme.

Aufgrund der demografischen Entwicklungen habe ich es immer häufiger mit hochbetagten und multimorbiden Menschen zu tun, also Patienten, die gleichzeitig unter komplexen Krankheitsbildern leiden. Aber auch junge Menschen werden immer öfter multimorbid und können dann aufgrund fehlender Versorgungsstrukturen nicht durch das Pflegefachpersonal versorgt werden. Und wir sprechen hier wirklich von schwerstkranken Menschen, die eine optimale, evidenzbasierte Gesundheitsversorgung durch interprofessionelle Teams benötigen.

Diese Strukturen haben wir jedoch bisher nicht, und auch nicht die berufsrechtlichen Grundlagen, um unsere pflegefachliche Versorgung weiterzuentwickeln.

Außerdem gibt es Menschen, die beatmet werden müssen oder einen Luftröhrenschnitt bekommen haben. Wenn ich Menschen von der Beatmungsmaschine entwöhnt habe, brauchen sie eine fortführende pflegefachliche Versorgung in einer Rehabilitationseinrichtung oder in einer Pflegeeinrichtung mit speziell geschultem Personal. Aber schon lange fehlt es an Pflegeplätzen und Fachkräften.

Aus diesem Grund muss der Patient unter Umständen sehr lange in einem Krankenhaus verweilen. Allein im außerklinischen Bereich werden rund 8.000 Patienten intensivmedizinisch versorgt. Das ist für die großen Holdings, aber auch für Pflegedienste ein lukratives Geschäft. Dabei spielen das Personal und die Versorgungsqualität oft eine untergeordnete Rolle.

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Das „Handelsblatt“ berichtete Anfang Mai von einem Verkauf der Firma Deutsche Fachpflege, die auf außerklinische Intensivpflege spezialisiert ist.

So etwas kommt noch erschwerend dazu. Ausländische Investoren,  die in der Regel fachfremd sind, wie der von Ihnen erwähnte kanadische Finanzinvestor Advent, investieren in die Fusion und den Aufkauf der Holdings Bonitas und Deutsche Fachpflege Gruppe, die jetzt nach der Corona-Zeit und der finanziellen Ausbeutung des Potenzials für zwei Milliarden Euro weiterverkauft werden sollen.

Wo ist hier das Kartellamt? Und was kann die Berufsgruppe der Pflegekräfte tun, um sich hier der finanziellen Ausbeutung durch den Kapitalmarkt zu entziehen? 11.000 Mitarbeiter an über 260 Standorten sind vorliegend betroffen. Eine konkrete Mitsprache der Pflegekräfte ist aufgrund der fehlenden Berufsrechte gar nicht möglich.

Die finanzielle Ausbeutung des deutschen Gesundheitswesens und der Pflegekräfte wird seit Öffnung des Gesundheits- und Pflegemarktes in den 1990er Jahren ungehindert von der Politik zugelassen. Die Öffnung führte nun 30 Jahre später zu Betriebsschließungen und damit in der Folge zu einer massiven und gefährlichen Unterversorgung von Menschen, die eine unmittelbare, aber auch langfristige medizinische und pflegerische Versorgung dringend benötigen.

Welchen Einfluss hat die einrichtungsbezogene Impfnachweispflicht auf die Situation in der Pflege?

Karl Lauterbach hat es auf die Spitze getrieben, als er in Magdeburg sagte, nur ein geimpfter Pfleger sei ein guter Pfleger. Letztendlich hat die einrichtungsbezogene Impfnachweispflicht zu einer großen Abwanderung von Pflegekräften aus dem Beruf geführt.

Es laufen im Moment immer noch Hunderte unberechtigte Bußgeldverfahren gegen ungeimpfte Pflegekräfte, die zu Schauprozessen rechtsbeugender Richter werden. Richtig transparent sind die Zahlen dazu nicht, da wir aufgrund fehlender Berufskammern keine Statistiken führen, wer den Beruf mit welchen Qualifikationen in welchen Regionen entsprechend ergriffen hat oder ihn vielleicht auch aufgrund dieser Impf-Politik wieder verlassen hat.

Ohne Berufskammer haben wir keine verlässlichen Zahlen über Pflegekräfte.

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Wie aussichtsreich ist das Vorhaben, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen?

Diese Maßnahmen der Politik sind zu kurz gedacht, da Fachkräfte im Ausland in der Regel in einem Gesundheitssystem mit salutogenetischen Prinzipien ausgebildet werden. Das heißt, sie sind auf Prävention, Rehabilitation und Palliation, also die Anpassung an die physiologische und psychologische Lage des Patienten, spezialisiert.

Für die Verordnung von Medikamenten und Therapien benötigen die Pflegekräfte im Ausland keinen Arzt, da sie aufgrund von Berufskammern in ihrem Heimatland befugt sind, selbst an- und zu verordnen. Die meisten Fachkräfte aus dem Ausland haben international gesehen einen höheren Ausbildungsstand wie etwa einen Bachelor- oder sogar Masterabschluss.

In den meisten Ländern dieser Welt, insbesondere in den englischsprachigen Ländern, üben studierte Pflegekräfte die Gesundheitsversorgung mit evidenzbasiertem Ansatz aus. Sie pflegen und forschen zugleich und entwickeln immer ausgeklügeltere Konzepte, die die Menschen unterstützen können, Krankheiten vorzubeugen oder trotz einer chronischen Erkrankung eine gute Lebensqualität zu erreichen.

In Nordamerika oder auch in den Niederlanden entwickeln sich ganz ausgefeilte Versorgungskonzepte wie etwa das Magnet-Hospital-Konzept mit dem Schwerpunkt auf Personalbindung oder etwa auch das Buurtzorg-Konzept mit dem Schwerpunkt auf Steuerung der Nachbarschaftshilfe durch berufliche Pflegekräfte, weil sie auf den höheren Qualifizierungsniveaus auch dazu ausgebildet werden, selbständig zu forschen, und gleichzeitig immer nahe am Patienten sind.

School Nurses [Schulpflegekräfte], die zum Beispiel in Kanada speziell an den Schulen eingesetzt werden, können Kinder und Jugendliche bei bestimmten akuten oder auch chronischen Erkrankungen begleiten und beraten. Sie leisten auch Erste-Hilfe-Maßnahmen vor Ort oder beraten die Eltern, um das Kind bestmöglich auch zu Hause weiter versorgen zu können.

Ärzte kommen in diesen Settings so gut wie nicht vor, da Ärzte auf pathogenetische Prinzipien spezialisiert sind und dadurch erst bei akut komplexen Pflegesituationen hinzugezogen werden. Solche Konzepte können nur von diesen Pflegekräften entwickelt werden, da auch nur sie über dieses Fachwissen verfügen.

Aufgrund unseres seit 140 Jahren nicht weiterentwickelten Krankenversicherungssystems und des omnipräsenten Arztvorbehaltes würden diese internationalen hochspezialisierten Pflegekräfte in Deutschland einen Rückschritt in der Umsetzung ihrer erlernten Praktiken machen. Hinzu kommt auch noch, dass sie selbst in ihren Heimatländern für die Gesundheitsversorgung gebraucht werden. Schließlich nehmen Infektions- und Zivilisationskrankheiten weltweit zu, nicht nur in Deutschland.

Sie haben jetzt die Ausbildung angesprochen. Wer bestimmt, was in Ausbildung und Studium der Pflegekräfte in Deutschland vermittelt wird und welche Aufgaben die Pflegekräfte ausüben können?

Das Berufsbild der Pflegekräfte wird in Deutschland im Pflegeberufsgesetz definiert. Allerdings sind hier lediglich die Ausbildungs- und Studieninhalte, die Finanzierung der Ausbildung und des Studiums sowie die Berufsabschlüsse geregelt. Anders als international üblich unterliegen die deutschen Pflegekräfte selbst nach Abschluss ihres Studiums wie eben erwähnt noch immer dem Arztvorbehalt nach § 15 und § 28 SGB V sowie dem § 1 Heilpraktikergesetz.

Obwohl wir nach EU-Recht beim Pflegeberuf von einem reglementierten Heilberuf sprechen, ist ein Arzt gegenüber den Pflegekräften weisungsbefugt und delegiert ärztliche Tätigkeiten an diese. Mit einer eigenen Berufskammer würde jedoch die Pflegefachperson selbständig über die Ausübung von Heilkunde entscheiden. Es wäre dann berufsrechtlich entsprechend der salutogenetischen Prinzipien geregelt.

Wer regelt also die fachlichen Inhalte der Pflegefachpersonen, wenn es keine Berufskammern gibt? Es sind andere Berufskammern sowie die Selbstverwaltungspartner nach § 91 SGB V, etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) oder auch der GKV-Spitzenverband, die dem Bundesgesundheitsministerium direkt untergeordnet sind.

Damit Pflegekräfte ihre Aufgaben endlich autonom erledigen können, brauchen wir einen Wandel in Deutschland hin zur Selbstverwaltung und Unabhängigkeit der Pflegeberufe.

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Was erwarten Sie von der Politik, um die Situation in der Pflege zu entspannen?

Die Regierung muss zunächst einmal verstehen, dass der Pflegeberuf ein Heilberuf ist und dadurch auch in einer Selbstverwaltungsstruktur organisiert sein muss. Demnach müssen alle Pflegefachpersonen eine eigene Registrierungsnummer erhalten, wie das international der Fall ist. Darüber hinaus muss das Pflegeberufegesetz weiterentwickelt werden, sodass wir nicht auf den unteren Qualifizierungsniveaus verbleiben, sondern noch besser ausgebildet werden können. Erst dann können wir diese international bereits zum Einsatz gekommenen Versorgungskonzepte auch hierzulande einsetzen.

Konzepte dieser Art können nicht über das bisher erlernte Wissen umgesetzt werden, da wissenschafts- und erkenntnistheoretische Fertigkeiten fehlen. Dazu müssen gesetzliche Anpassungen her, die die Gesundheitspolitiker gegenüber den Interessenverbänden der Ärzte und Kassen durchsetzen müssten.

Was raten Sie den Patienten?

Patienten sollten sich regelmäßig selbständig über Prävention und weitere gesundheitsfördernde Maßnahmen erkundigen. Bisher kann man sich in Deutschland sehr gut über die Krankenkassen und spezialisierte Fachärzte beraten lassen. Aber auch Fachkräfte anderer Heilberufe wie Pflegefachkräfte oder Hebammen können oft mit einem guten Rat weiterhelfen.

Natürlich kann sich auch jeder Bürger für eine Verbesserung der Patientenversorgung einsetzen. Wenn die Versorgung im Krankenhaus oder in einem Pflegeheim nicht gut ist, sollten diese Versäumnisse in die politischen Debatten eingebracht werden. Dafür eignen sich zum Beispiel Bürgerbüros oder auch Arbeitsgemeinschaften der regierenden Parteien auf kommunaler Ebene. Auf diese Weise unterstützen sie die Pflegekräfte, sich in Deutschland strukturell und inhaltlich weiterzuentwickeln. Das kommt letztlich der ganzen Gesellschaft zugute.

Das Interview führte Susanne Ausic.

*Werner Möller ist Intensivpfleger mit rund 30-jähriger Berufserfahrung, Atmungstherapeut und Mitbegründer der „Pflege für Aufklärung“.

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